Im Gespräch: Abtei St. Hildegard

Schwester Philippa Rath zur neu entdeckten Natur- und Heilkunde von Hildegard

Oberhalb des wunderschönen Rüdesheim am Rhein liegt ein imposantes Kloster mit großer Geschichte: die Benediktinerinnenabtei St. Hildegard. Sie ist das Nachfolgekloster des 1165 von Hildegard von Bingen gegründeten Klosters Eibingen. Hildegard von Bingen gilt wohl als interessanteste Frau des Mittelalters. Ihre Natur- und Heilkunde ist die erste in deutscher Sprache und enthält eine Fülle von Angaben über Wesen und Wirken von Pflanzen und Tieren, Edelsteinen und Metallen und berichtet über die Ursachen und Behandlung von Krankheiten. Schwester Philippa Rath ist seit 1990 Benediktinerin der Abtei und u.a. zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Klosters. Wir fragten die Theologin und Historikerin nach dem Geheimnis des jahrhundertealten hildegardischen Wissensschatzes, und was ihn heute noch so aktuell macht.

Hildegard von Bingen lebte 1098 bis 1179. Warum wecken ihre lange ungelesenen Schriften heute wieder ein solch wachsendes Interesse?
"Die Menschen sind auf der Suche nach Ganzheitlichkeit, nach Harmonie mit der Natur und dem Kosmos, letztlich nach dem Sinn ihres Lebens. Hildegard von Bingens Natur- und Heilkunde war ganzheitlich ausgerichtet – Gott, Welt und Mensch waren im mittelalterlichen Denken noch eine Einheit. Hildegard beschäftigt sich außerdem nicht nur mit den Symptomen, sondern auch mit den Ursachen der Leiden. Dabei werden alle Bereiche des menschlichen Lebens in den Blick genommen, auch der geistig-geistliche und der seelische Zustand der Patienten. Letztlich vermittelt Hildegards Natur- und Heilkunde eine Lebenskunst, eine Philosophie gesunden Lebens. Das ist es wohl, das den modernen Menschen heute so anzieht."

Warum wird Hildegard von Bingen als Pionierin für die Heilpflanzen-Kunde gesehen?
"In Hildegards Schriften „Causae et curae“ und „Physica“ findet man u.a. wertvolle Informationen über die Wirkung und Heilkraft von Kräutern. Hildegard verband das Wissen über die Wirkungsweise von Heilpflanzen, wie sie traditionell in den Klostergärten wuchsen, mit ihren eigenen Beobachtungen und mit den Erkenntnissen der mittelalterlichen Naturforschung. Sie war eine hochgebildete und sehr belesene Frau. In ihrem heilkundlichen Werk beschreibt Hildegard über einhundert Heilpflanzen und ihre Wirkung in der konkreten Anwendung als Tees, Kräuterwein, Pulver, Salben, Tinkturen u.v.m."

Es gibt ja sogar so genannte „Hildegard-Kräuter“, um welche handelt es sich?
"Philippa Rath: Galgant, Bertram oder Quendel werden heute als typische "Hildegard-Kräuter" bezeichnet. Sie haben ebenso wie z.B. Alant, Brennnessel, Tausendgüldenkraut, Bachbunge, Ysop, Lavendel und Mariendistel einen festen Platz in ihren Schriften. Der Galgant ist ein Verwandter des Ingwers, der in Asien heimisch ist. Hildegard empfiehlt den scharfen Wurzelstock des Galgants zur Stärkung der Verdauung und zur Senkung des Blutdrucks. Der Bertram ist eine Heilpflanze, die im Mittelmeerraum zuhause ist. Sie ähnelt der Kamille, schmeckt aber sehr scharf. Wenn Hildegard den Bertram nicht für die tägliche Ernährung und als Heilkraut empfohlen hätte, wäre er vielleicht inzwischen völlig in Vergessenheit geraten. Quendel ist eine Wildform des Thymians mit einer anregenden, antibakteriellen und entzündungshemmenden Wirkung. Seine größte Stärke ist sein heilsamer Einfluss auf die Atmungsorgane."

Was macht für Sie die Faszination dieser Frau aus?
"Schon zu Lebzeiten wurde Hildegard als „prophetissa teutonica“ hoch verehrt. Sie war Seherin, Prophetin, Theologin, Naturforscherin, Dichterin und Musikerin zugleich und damit wohl eine der vielseitigsten und interessantesten Frauengestalten des Mittelalters. Zur Begründung ihrer Heilkunde ging Hildegard zurück bis zur Erschaffung der Welt, um damit die besondere Stellung des Menschen im Kosmos und seine Heilsbestimmung zu betonen. Dabei wurde sie nicht müde, die ursprüngliche Harmonie des Menschen mit Gott und dem ganzen Kosmos, die für sie der Heilszustand schlechthin ist, zu preisen. Von seiner ursprünglichen Konstitution her ist der Mensch also heil geschaffen und zum Heil bestimmt. Krankheit ist in Hildegards Denken kein Prozess, sondern eine Ermangelung, ein Unterbleiben, eine Verfehlung im Wesen selbst und damit auch ein existentielles Defizit. Aufgabe der Heilkunst ist es angesichts dessen dann, dem Menschen den Weg zurück zum umfassenden Heil, zu ermöglichen."

Was trieb Hildegard von Bingen zu ihrer enorm umfangreichen Arbeit?
"Hildegard war eine sehr starke Frau. Sie hatte ein großes, prophetisches Sendungsbewusstsein und wollte die Menschen ihrer Zeit zu Gott, zum Glauben und zu einem im wahrsten Sinne des Wortes heilen Leben zurück führen . Sie sah sich von Gott beauftragt, das niederzuschreiben und zu verkünden, was er ihr offenbart hatte. So entstand im Laufe der Jahre eine Vielzahl von Schriften, die sich einerseits mit theologisch-geistlichen Themen befassten und andererseits mit den Elementen und Temperamenten, der Säftelehre, dem Ursprung und der Entstehung von Krankheiten, mit Heilmitteln und Pflanzenkunde. Zu erwähnen sind auch die 390 bis heute überlieferten Briefe – spannende Zeugnisse dessen, wie sehr Hildegard als Ratgeberin in vielen Lebens- und Glaubensfragen gefragt war."

Wie können wir ihr Wissen heute nutzen?
"Die mittelalterliche Medizin und damit auch die Natur- und Heilkunde Hildegards von Bingen überliefern keine konkreten Behandlungsmethoden oder Heiltechniken im modernen Sinne. Sie finden dort keine „Rezepte“, die man eins zu eins heute umsetzen könnte. Sie finden in ihrem Werk jedoch ein Bild des gesunden und des kranken Menschen, konkrete Wege zu einer gesunden Lebensordnung und Lebensführung sowie die Kunde von Heil und Heilung des Menschen. Sich im Alltag einer festen Lebensregel zu unterwerfen, das gehört für Hildegard zu einem vernünftigen Lebensstil, zu einer ausgewogenen Ordnung. Darin ist Hildegard ganz und gar Benediktinerin – sie lebte ja wie wir heute nach der Ordensregel des hl. Benedikt, der das Maß einst als „Mutter aller Tugenden“ bezeichnet hat. In Hildegards Heilkunde geht es also weniger um eine therapeutische Korrektur, als um die Hinwendung zu sinnvoller und maßvoller Lebensführung im Einklang mit der Natur. Das ist, denke ich, auch heute die Basis für ein gesundes und harmonisches Leben."

(vom Frühjahr 2009)

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